Hast du momentan Sorgen? Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die meisten auf diese Frage zustimmend nicken werden. „Sorgenpäckchen“, ob groß oder klein, trägt jeder von uns mit sich herum. Sorgenfrei ist nur eine verschwindend geringe Minderheit – und selbst die hat meist doch Angst davor, dass die sorgenfreie Zeit enden könnte. Schnell sind wir selbst oder unser Umfeld dann mit Gegenargumenten zur Stelle: „Mach dir keine Sorgen, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“. Solche Sätze kennt man, denn Sorgen hintenan zu stellen ist einer der Faktoren auf dem Weg zum persönlichen Glück. Doch Fakt ist, dass der heutige Alltag einem an manchen Punkten zurecht Sorgen machen kann. Doch wo liegt die Grenze zwischen berechtigt und übertrieben? Worüber darf man sich sorgen und was ist zu abstrakt? Diesen Fragen sind wir nachgegangen.

„Sorgen sind wie Haare auf dem Kopf: Jeder trägt mehr oder weniger damit herum. Man kann sie wegrasieren oder ausreißen, sie kommen doch immer wieder“ – unbekannter Verfasser
Warum haben wir so viele Sorgen?
Wer in sich hineinhorcht, stellt wahrscheinlich fest, dass seine Sorgen ein äußerst vielfältiges Spektrum abdecken. Tatsächlich sind sie damit nur ein Spiegel unseres Alltags. Denn auch dieser ist unglaublich vielfältig. Man findet kaum noch zwei Menschen, deren Lebensentwürfe sich eins-zu-eins decken. Obendrein verlangt uns der heutige Alltag viel mehr ab, als noch vor wenigen Jahren. Schon das „sorgt“ im wahrsten Wortsinn dafür, dass wir uns mehr sorgen, einfach weil viel mehr da ist, über das man sich Sorgen machen kann.
Ein weiterer Punkt ist die Informationsflut, die heute auf uns einprasselt. Ob man das Handy zückt, Facebook öffnet, die Nachrichten schaut. Überall so viel Negatives, so viel Leid, Zukunftsangst, Gewalt, Ungleichbehandlung. Selbst wenn man ein sehr positiv eingestellter Mensch ist, der eigentlich nur wenige Sorgen hat, belastet diese Fülle an negativen Informationen einen irgendwann ganz erheblich. Wer sowieso schon eine „grundbelastete“ Einstellung hat, kann unter so vielen Sorgen auch depressiv werden.
Die Welt ist heute nicht hässlicher und brutaler als vor Jahrzehnten, bloß ist die Berichterstattung darüber heute ungleich größer geworden.
Natürlich klingt es verlockend, die Sorgen einfach zu ignorieren. Das kann unser Geist durchaus. Doch wenn man das nicht selektiv tut, also pauschal alle Sorgen über einen Ignoranz-Kamm schert, kommt wahrscheinlich das Gegenteil heraus: Man verschließt die Augen vor der Wirklichkeit, unterlässt vielleicht wichtige Schritte und steht dadurch später vor weitaus größeren Problemen. Denn Sorgen sind auch ein Selbstschutzmechanismus unseres Ichs. Sie sind die kleinen Leuchtpunkte auf unserem inneren Radarschirm, die unser Geist dauernd beobachtet, um uns vor Problemen zu bewahren. Bloß funktioniert es dabei wie beim echten Radar: Wenn der zu viele Leuchtpunkte aufzeigt, verliert man den Überblick und wirkliche Probleme gehen unter einem Haufen Scheinsorgen verloren und es funktioniert auch andersherum. Schaltet man den Radarschirm ab, indem man sämtliche Sorgen ignoriert, bekommt man gar keine schützenden Informationen mehr. Doch wo setzt man die Grenze? So viel schon vorweg: Jeder Punkt aus unserem Alltag ist zwiespältig, denn er enthält sowohl berechtigte wie abstrakte Sorgen.
Gesundheitssorgen
Wir alle wollen gesund sein, wollen alt werden. Wir machen Bachblütentherapien, ernähren uns bewusst, unterlassen Dinge, die kurz-, mittel-, oder langfristig den Körper schädigen – und trotzdem ist die eigene Gesundheit doch bei verblüffend vielen Menschen eine Hauptsorge. Wohl jeder kennt in seinem Umfeld die Geschichten vom supergesund lebenden „Bruder des Kollegen der Cousine“, der urplötzlich einen Herzanfall hatte. Und das macht uns Sorgen. Was, wenn all das, was man tut, nicht genügt? Wenn nicht die Umwelt, sondern die Gene einen Krebs auslösen, wenn man einfach nur Pech hat?. Es gibt also viele Sorgen-Ansätze. Gleichsam ist die Gesundheit ein Paradebeispiel:
Berechtigte Gesundheitssorgen sind in diesem Umfeld nur solche, die sich mit sehr wahrscheinlichen, realen Gefahren auseinandersetzen. Hat man aufgrund seines Lebenswandels ein tatsächliches Schlaganfall-Risiko? Gibt es bei einem diagnostizierte Anzeichen für diese oder jene Krankheit? Nur in solchen Fällen sind Sorgen berechtigt.
Abstrakte Gesundheitssorgen sind dagegen all jene, die unter die Kategorie fallen „das könnte mir auch passieren“. Natürlich, passieren kann vieles. Aber wer beispielsweise sportlich-schlank ist und fleißig Stressvermeidung und -abbau betreibt, der hat einfach kein realistisches Herzanfall-Risiko. Abstrakte Sorgen sind also all jene, die keine wirkliche Basis haben und deren Risiko sich darauf beschränkt, dass man ein lebendes, atmendes Individuum ist.
Finanzielle Sorgen
Das liebe Geld. Es ist selbst von manchen Milliardären bekannt, dass selbst sie immer noch Geldsorgen haben – wenngleich in etwas anderer Form als Normalsterbliche. Aber wirklich von sich behaupten „über Geld mache ich mir gar keine Gedanken“ kann bei ehrlicher Betrachtung kaum jemand von uns. Doch abermals gibt es eine klare Zweiteilung:
Berechtigte Geldsorgen sind dann gegeben, wenn das Geld jetzt, aktuell nicht dafür ausreicht, um das Lebensnotwendige über den kompletten Monat hinweg bezahlen zu können. Sprich, das Geld wirklich so knapp ist, dass ein normales Leben selbst ohne jeglichen Luxus schwierig ist. Natürlich, selbst bei großen Schulden gibt es noch einen wirksamen letzten Ausweg in Form der Privatinsolvenz, die zudem über eine Pfändungsgrenze in Höhe von 1139 Euro monatlich liegt. Doch schon lange vorher können Finanzen durchaus berechtigte Sorgen machen, wenn das Geld fehlt, um bestehende Verpflichtungen zu begleichen.
Abstrakte Geldsorgen sind solche, die „vielleicht, irgendwann, mit Pech“, in der Zukunft auftreten könnten. Etwa, wenn man sich jetzt bei der Bank Geld für ein neues Auto geliehen hat und befürchtet, irgendwann durch Arbeitslosigkeit usw. dies nicht mehr zurückzahlen zu können. Ferner solche Finanzsorgen, die echte Luxusprobleme widerspiegeln („ich kann mir keinen neuen XXL-Fernseher leisten“). Abstrakte Sorgen gehen also über das unmittelbar Notwendige hinaus.
Politische Sorgen
Wirft man einen Blick in die Abendnachrichten, könnte man den Eindruck bekommen, die Welt sei ein Pulverfass mit brennender Lunte – und ganz kurz davor, hochzugehen. Doch wie oben erwähnt handelt es sich hierbei besonders häufig um durch die mediale Informationsflut ausgelöste Sorgen:
Berechtige politische Sorgen sind solche, die a) derzeit tatsächlich und nicht nur aufgebauscht bestehen und b) uns unmittelbar betreffen können. Das wären beispielsweise die erstarkenden rechten Kräfte Europas, die das europäische System, dessen progressive Errungenschaften tatsächlich bedrohen, oder der sich anbahnende Wirtschaftskrieg mit den USA. Allerdings: Viele wirklich berechtigte Sorgen gibt es ansonsten kaum.
Abstrakte politische Sorgen sind dagegen in der Überzahl. Denn sie umfassen alles, was nicht beide Punkte im vorherigen Absatz erfüllt. Das Säbelrasseln zwischen USA und Nordkorea? Beträfe Europa selbst im Worst-Case kaum – falls dieser überhaupt jemals eintritt. Terror? Ist, wenn man einen Blick auf frühere Jahrzehnte wirft, tatsächlich ein (social-)medial stark aufgebauschtes Problem. Tatsächlich sind die meisten politischen Probleme das unvermeidbare und immerwährende Hintergrundrauschen unserer Welt und sollten einem keine schlaflosen Nächte bescheren.
Umweltsorgen
Auch bei unserer Umwelt sieht es aktuell ähnlich düster aus wie in der Politik. Horrormeldungen wohin man schaut. Doch gibt es dabei noch abstrakte Sorgen? Ja, auch wenn man eine harte Grenze ziehen muss.
Berechtigte Umweltsorgen sind diejenigen, die wirklich zweifelsfrei wissenschaftlich untermauert sind. Prominentestes Beispiel dabei der menschgemachte Klimawandel. Da ist einfach klar, dass es jetzt und in Zukunft definitiv starke, globale Auswirkungen haben wird. Gleiches gilt auch für die absolut reale Vermüllung der Meere durch Plastik. Aber: Der berechtigte Part der Sorgen sollte schon aus Eigenschutz dort enden, wo er die Welt jetzt und erwiesenermaßen bedroht und wo man durch Eigenverhalten steuern kann.
Abstrakte Umweltsorgen gibt es zwar wenige, aber darunter fällt alles, was zwar groß wirkt, es aber eigentlich nicht ist. Etwa Feinstaub. Wissenschaftlich ist etwa das renommierte Fraunhofer-Institut der Ansicht, dass der Anteil, den Automotoren daran haben, im Vergleich zur medialen Berichterstattung ziemlich gering sei. Ferner gehört dazu der Umgang mit nachwachsenden Rohstoffen. Natürlich ist es nicht schön, wenn Bäume als Bau- und Brennholz gefällt werden. Aber wenn sie nur zu diesem Zweck gepflanzt wurden und wieder aufgeforstet wird, ist das eher eine abstrakte Sorge.
Zusammenfassung
Viele unserer Sorgen sind durchaus berechtigt. Aber schon, weil deren Zahlen so hoch sind, muss man für sich selbst „aussieben“. Dabei hilft es ungemein, wenn man nachfolgendem Merksatz vorgeht: „Betrifft mich jetzt oder mit höchster Wahrscheinlichkeit zukünftig und wird sich stark auf mein Dasein auswirken“. Um alles, das nicht in diese Kategorie fällt, sollte man sich zumindest nicht zu sehr sorgen – sonst wird der innere Radarschirm chaotisch voll.